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VulgarGrad


Limonchiki


Capone`s World
VulgarGrad bearbeiten ein musikalisches Genre, das nicht nur für eine australische Band ungewöhnlich sein dürfte: Blat-Musik. Dieses musikalische Genre, entstanden in der ukrainischen Stadt Odessa um die letzte Jahrhundertwend aus einer Mischung aus Klezmer- und Zigeunermusik sowie damals modernen Tänzen wie Foxtrott, Charleston und Polka, hatte seine Hochzeit in den 1920er Jahren in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, als es fester Bestandteil der Unterhaltungsmusik war. Musiker wie auch Publikum entstammten zunächst dem kriminellen Milieu, weshalb sich auch der Begriff des "Gaunerchanson" oder "criminal songs" für diese Musik eingebürgert hat. Später, insbesondere zu Zeiten der Diktatur unter Stalin, war diese Musik zumindest im russischen Radio tabu, doch konnte dies der Beliebtheit der Lieder keinen Abbruch tun. Mittlerweile gibt es Radiosender, die kaum noch etwas anderes spielen als vor allem moderne Interpretationen dieser Ganovenlieder, wobei sich die Beliebtheit dieser Lieder  kaum über die Länder der ehemaligen Sowjetunion ausgebreitet hat.
VulgarGrad widmen sich bereits seit dem Jahre 2004 dieser Musik, ihr zunehmender Erfolg dürfte nicht zuletzt ihrem Frontmann und Sänger, dem polnischen Schauspieler Jacek Koman zuzuschreiben sein, dessen Stimme ein wenig an Tom Waits erinnert. Vor allem aber wird Jacek Koman nicht von billiger Synthesizer-Musik begleitet, wie es bei seinen russischen zeitgenössischen Kollegen meist der Fall ist, sondern von einer richtigen Band, die sogar einen Balalaika-Bassisten beinhaltet.
Die A-Seite ihrer neuen Single "Limonchiki" ist ihre fantastisch gelungene Interpretation eines alten jüdischen Songs aus Odessa, die B-Seite ebenfalls eine Interpretation eines traditionellen Liedes "Oy Oy Oy". Weit mehr als nur der Soundtrack zu einem Wodka-Abend.

MOLOKO PLUS
Das ist russische irre-mach-Musik: Wodka, Liebe, Vulgargrad. Vulgargrad? Vulgargrad! Die – nach Labelangaben – einzige Band außerhalb Russlands, die sich auf russische Gangstersongs spezialisiert hat, bringt hier ein wenig Ostblock-Knastatmosphäre auf den Plattenteller.
Ob das da wirklich so klingt, lässt sich von hier schwer beurteilen. Aber: Der Kalte Krieg ist nicht weit und der Titeltrack "Limonchiki" ein ordentlicher Bläserstampfer mit Ohrwurmqualitäten. "Kleine Zitronen" erzählt von der Liebe zu Mama, von leeren Taschen und ein bisschen auch von Zitronen.
Zuallererst brennt die A-Seite aber die Reibeisenstimme vom (polnischen!) Sänger Jacek Koman in die Gehörgänge. Beim genaueren Hinsehen fällt nämlich auf, dass es sich bei den (Wahl-)Australiern um eine zusammengeschusterte Band mit Mitgliedern aus aller Herren Länder handelt. Die Einflüsse sind da weit gestreut und als ad hoc-Vergleich könnten vielleicht 44 Leningrad aus Potsdam bestehen. Der Vulgargrad-Sound ist aber schleppender, walz(er)iger. Und klar: wegen der ausschließlich russischen Sprache, zumindest auf dieser Single, authentischer. Stichwort retro. Da hat sich jemand wirklich Mühe gegeben.
Auch bei der B-Seite "Oy, Oy, Oy…" handelt es sich wie schon beim Titelsong um ein Traditional, das die Band umarrangiert hat. Gestampft und geswingt wird auch hier, und vor allem Gas gegeben. "Du wirst tanzen, oder der Trompeter knallt dich ab", sagt das Label. Ob das wirklich so ist, lässt sich wohl nur auf der anstehenden Deutschlandtour herausfinden.

Ox # 101
Achtung, Klischeealarm! Mehr Balkan-Beat-Stereotype als auf der pissgelben VulgarGrad-Single lassen sich so geballt wohl selten finden. Natürlich kommen sie aus Russland. Natürlich klingt der polnische Sänger Jacek, als würde er jeden Morgen eine Flasche Wodka saufen. Natürlich sind es gerüchteweise ehemalige Sträflinge und natürlich gibt es die typischen, tanzbaren Blasmusik-Walzer-Sounds, wie man sie von Goran Bregovic oder aus diversen Kusturica-Filmen kennt. Und natürlich hat das alles diesen sympathischen dreitagebärtigen Kleinganoven-Sauf-Charme. Aber eine Sache stimmt dabei natürlich auch: Dieses Zeug macht so verdammt viel Spaß, dass sich sogar das mehrfache Umdrehen der Single lohnt. Darauf ein dreifaches "Oy Oy Oy"! (Gary Flanell, 8 von 10)